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Renate Schulz

Mein Idol

Renate Schulz aus Leipzig erinnert sich ...

Das alljährliche Leipziger Pressefest war ein echter Höhepunkt in der damaligen DDR. Im Juni oder Juli jeden Jahres gaben sich Stars und Sternchen, die man zumeist nur vom Bildschirm her kannte, auf zahlreichen Bühnen ein Stelldichein und die Leipziger strömten zu Hunderten auf’s Messegelände, um ihre Fernsehlieblinge live zu sehen und um sich in „gemütlicher Runde“ die obligatorische Bock- oder Bratwurst, ein kühles Bierchen oder auch zwei, rote Brause und das Eis am Stil munden zu lassen.

Der Kalender zeigte das Jahr 1964 an. Ich war gerade mal 13 Jahre alt und für mich und meine beste Freundin Angela gab es zu dieser Zeit nichts Schöneres und Interessanteres, als sich unseren Schlagerlieblingen zu widmen. Mein „Schwärmi“ (so nannten wir sie damals) war zweifelsohne Bärbel Wachholz. Meine Freundin verehrte Ruth Brandin und Ina Martell, die in den 60er Jahren auch sehr erfolgreiche Sängerinnen waren. Bärbel kannte ich bislang vom Radio, den zahlreichen Schallplatten oder vom Fernsehfunk. Bereits als Kind erkannte ich, dass Bärbel nicht nur eine Modeerscheinung war, sondern schlicht und einfach mit gesanglicher Qualität und warmherziger Ausstrahlung überzeugte. Ich war total „aus dem Häuschen“, als sich meine Eltern 1963 einen damals so begehrten „Fernsehkasten“ namens Rafena „leisteten“. Vorher  war ich darauf angewiesen, Freunde zu nerven oder mich in einem einschlägigen Kulturhaus namens „Deutsch Sowjetische Freundschaft“  mit anderen „Leidensgenossen“ in einem dafür eingerichteten Raum „flimmermäßig“ berieseln zu lassen.

Das Pressefest aber sollte nun alles ändern. An einem herrlichen Sommersonnensonnabend Nachmittag sollte sich mein größter Wunsch erfüllen und ich durfte meinen Lieblingsstar zum ersten Mal live erleben. Wir stellten uns mit unseren bescheidenen Fotoapparaten (vielleicht kennen einige noch die so beliebte, aber mitunter unzuverlässige Beirette) direkt vor die Bühne, denn die begehrten Sitzplätze waren mit den besonders hartnäckigen Pressefestbesuchern besetzt, die sich diese bereits schon in den frühen Morgenstunden sicherten. Das war uns aber einerlei. Hauptsache, ich war ganz vornan, denn ich wollte so nah wie möglich am Geschehen sein. Sozusagen als Höhepunkt, also ziemlich am Ende der Gala, die nach meinem Geschmack zum Teil sehr langweilig war, denn es traten auch Tänzer und Sänger aus der uns damals besonders befreundeten Sowjetunion auf, die uns immer und immer wieder präsentiert wurden, sagte der Conferencier Horst Kaszmareck (ein sehr bekannter Sportreporter zu dieser Zeit) Bärbel Wachholz und Armin Kämpf an – zwei Künstler, die ganz hoch im Kurs standen, bei ungelogen 99 % der Bevölkerung ein Begriff waren und sich außerdem zwei Jahre zuvor nicht nur künstlerisch sondern auch privat das „Ja-Wort“ gaben. Mein Kinderherz schlug bis zum Hals, als eine wunderschöne Frau die Bühne betrat: Blonde Haare, im Nacken etwas länger, schlank¸  in einem engen weißen Kleid mit großen bunten Blumen bedruckt, am Rückenausschnitt bis zum Rockende ein wehender weißer Seidenschleier... Da ein lauer Sommerwind wehte, war das Bild perfekt. In meinen Kinderaugen stand da die Märchenprinzessin schlechthin. So müsste sie aussehen, so und nicht anders!!! Mit ihren silbernen Absatzschuhen  tanzte die Prinzessin namens Bärbel zu den damals sehr bekannten Schlagern „Alles Gute kommt von dir“, „Sole, Sole heißt die liebe Sonne“ und „Gitarren im Mai“. Armin Kämpf, der „Ehekollege“ begleitete sie im Takt mit Rumbakugeln und während ihrer Lieder flirtete sie ihn neckisch an. Dass sich ihre Stimme live ebenso perfekt anhörte wie auf der Schallplatte, überraschte mich nicht. In den 60ern war man es gewöhnt, dass die Sänger ohne großen technischen Aufwand und ohne Playback (heute teilweise undenkbar) ihre Sangeskünste präsentierten. Die Stimme von Bärbel Wachholz war aber dennoch anders als bei den üblichen Schlagersängern. Ihr großes Stimmvolumen, ihr warmer weicher Gesang und die Glaubwürdigkeit ihrer Interpretation waren einzigartig und sie hatte einen unglaublichen Wiedererkennungswert.

Meine Fotos, die ich damals aufgeregt und hektisch schoss, konnten ganz einfach nichts werden. Nach Bärbels Darbietungen gab noch Armin Kämpf einige Titel zum Besten und wir zwei „Nasen“ nutzten die Gunst der Stunde und flitzten wie „angestochen“ hinter die Bühne. Ein Sicherheitsbeamte versuchte uns aufzuhalten, doch frech schwindelten wir, dass wir unserem Onkel, Herrn Peter Schubert, der einen schweren Job hinter der Bühne tat, etwas zu Essen bringen sollten. Heute kaum vorstellbar, aber er hatte Verständnis und vielleicht ein gutes Herz und ließ uns laufen ... Bärbel stieg mit einem Musiker die Treppen hinter der Bühne hinauf zu den Garderoben und Stück für Stück kam sie uns näher. Dieser Anblick blieb all die Jahre in meiner Erinnerung. Oben angekommen, hielt ich ihr zwei Starfotos unter die Nase, bat sie um ein Autogramm und freundlich mühte sich Bärbel mit meinem Kugelschreiber, der, wie auch mein Fotoapparat, natürlich nicht funktionierte. „Warte mal hier, mein Kind“, meinte sie lächelnd und wollte in dem anliegenden Garderobentrakt entschwinden. „Sie waren großartig!“, das war alles, was ich gerade noch heraus bekam. Sie lächelte: „Danke – schön, dass es dir gefallen hat.“ Ein Lächeln von Bärbel Wachholz, so empfand ich es damals, war etwas ganz Besonderes. Ihre großen braunen Augen strahlten und die Grübchen in den Wangen gaben ihr einen einzigartigen Flair. „Viel Spaß noch weiterhin“ und weg war sie. Armin Kämpf brachte uns die unterschriebenen Fotos wieder heraus und ich war einfach nur glücklich ...

An der Abendveranstaltung durfte ich leider nicht teilnehmen. Es gab in der DDR zwar wenig Kriminalität, aber meine Eltern erlaubten es dennoch nicht – basta!

Das war meine erste Begegnung mit Bärbel Wachholz und es sollte nicht die einzige bleiben. Es folgten in den nächsten 7 Jahren 38 weitere. Ich bewunderte sie in  ihren eigenen Shows, bei Großveranstaltungen, Interviews, oder ganz privat, z.B. in der Leipziger Wolfgang-Heinze-Str., in der sich der kleine Lebensmittelladen und die Wohnung ihrer Schwiegereltern befanden. Bei vielen Veranstaltungen half unser Trick 17 b (so nannten wir den Plan) und damit schaffte ich es immer, mit meiner Freundin hinter die Bühne in die Garderobe der Künstlerin zu gelangen – heute kaum vorstellbar. Wir riefen vorher bei den Veranstaltern an und eine erfundene „Frau Billig“ von der Konzert- und Gastspieldirektion Leipzig avisierte zum Programm zwei Mädchen, die von der selbigen Agentur geschickt werden, um der Sängerin Blumen zu überreichen. So hatte ich Gelegenheit, hinter der Bühne mit meinem Lieblingsstar kurz zu plaudern, Blumen oder Geschenke zu überreichen, Fotos zu schießen und Künstlerpostkarten signieren zu lassen. Wenn ich mir heute überlege, musste doch von der KGD Leipzig bei jeder Veranstaltung ein Mitarbeiter vor Ort gewesen sein, doch unser Plan ging immer auf. Mittlerweile kannte mich Bärbel recht gut und wenn sie in Leipzig auftrat, gehörte ich ganz einfach zum „Inventar“. Ab und an beantwortete Bärbel meine Briefe, die ich ihr nach Berlin schickte. Ganz besonders stolz bin ich auf ihre Weihnachts- und Neujahrsgrüße. Darunter befinden sich Karten, Briefe und sogar ein Glückwunschtelegramm.

Ich machte mir von meiner Lieblingssängerin mein eigenes Bild. Sie war immer freundlich, zuvorkommend, sehr attraktiv und niemals hab ich sie betrunken gesehen – nicht privat und nicht auf der Bühne (wie es wohl in den späteren Jahren leider immer häufiger berichtet wurde). Wie war Bärbel Wachholz aber wirklich? War mein Eindruck von ihr der wahre? 1970 zur Geburt ihres Söhnchens Stephan Tobias schickte ich ihr eine Glückwunschkarte und legte dazu lustig karierte Babyschuhe. Sie hatte sich damals dafür nicht einmal selbst bedankt. Eine Bekannte schickte mir im Namen von Bärbel Wachholz eine Dankeskarte. Wie ich später erfuhr, hatte sich Bärbel zwar sehr darüber gefreut, war aber gesundheitlich nicht in der Lage, mir zu schreiben. Vielleicht war ich damals enttäuscht darüber, aber vielleicht verschoben sich auch meine Prioritäten. Ein Mann an meiner Seite wurde wichtiger. Ich wollte  eine Familie gründen. 1971 sah ich Bärbel Wachholz ein letztes Mal live. Ich überredete meinen Mann, mich zu dieser Veranstaltung in’s Leipziger Haus Auensee zu begleiten. Bärbel hat mir gefallen, besonders das Lied „Kleiner Mann“, welches sie ihrem kleinen Sohn widmete, doch irgendwie war sie nicht mehr die Bärbel Wachholz der 60er Jahre. Sie war noch sehr schön, trug ein grünes modernes Minikleid und ihre Haare etwas länger, vielleicht war sie etwas fülliger, aber irgendetwas war anders. Ich konnte nicht sagen, was es war. Das Publikum applaudierte nicht mehr so euphorisch wie in den vergangenen Jahren. Nach der Veranstaltung ging ich nicht hinter die Bühne. Andere Dinge wurden mir wichtiger. Ich erwartete ein Baby. Meine Familie, meine Arbeit im Verlag, neue Freunde, neue Hobbys rückten in den Vordergrund. Dennoch, meine liebevoll zusammen getragene Bärbel Wachholz-Sammlung, all die vielen Fotos und Schallplatten, hielt ich immer in Ehren, obwohl ich 3 x die Wohnung wechselte.

Die Erinnerungen an eine Kinder- und Jugendzeit voller Schwärmerei mit wunderschönen Erlebnissen wurden immer blasser, ich war erwachsen.

Bis zum 13. November 1984, als die erschütternde Nachricht durch die Medien ging: Bärbel Wachholz ist tot! Sie starb in Berlin mit nur 46 Jahren. Ich saß beim Friseur, hielt fassungslos die Zeitung in den Händen, die Tränen liefen mir über die Wangen und an diesem Tag wurde mir klar, dass mit dem Tod der Sängerin ein Stück meiner Kindheit starb. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass mich dieses schreckliche Ereignis so stark berührte. Fragen taten sich auf. Warum musste sie so früh gehen? Ihr Sohn, den sie sich sehnlichst gewünscht hatte, war doch gerade mal 14 Jahre alt. Gern hätte ich ihr noch einiges gesagt, bedankt hätte ich mich für all die schönen Stunden, die sie mir damals bereitete. Mir wurde plötzlich klar, dass mich diese Frau stärker geprägt hatte, als ich es wahr haben wollte und ganz unbewusst hatte ich mich an ihr orientiert. Zur Trauerfeier bin ich nicht gefahren. Mit meiner Freundin Angela und unseren beiden Töchtern Anja und Carolin besuchten wir ein Jahr später im Sommer 85 in Berlin-Buchholz den Witwer Armin Kämpf, einen gebrochenen Mann, in dem Haus, in dem er 20 Jahre mit Bärbel lebte und schauten einem 14-jährigen Jungen in die Augen, der seine Eltern doch so notwendig gebraucht hätte. Armin fuhr mit uns zum Friedhof und endlich hatte ich die Gelegenheit, Abschied zu nehmen, Abschied von Bärbel Wachholz und unbeschwerten glücklichen Kinderjahren. Bärbels Grab war sehr gepflegt, viele frische Blumensträuße schmückten die Stelle. Ein großer Stein erinnert: Bärbel Wachholz, 1938 – 1984. Neben Bärbel ruht ihre beste Freundin Eva Bath, die Frau des damals sehr bekannten Komponisten Hans Bath. Wir schwelgten in Erinnerung. Ich legte einen Strauß gelber Rosen auf’s Grab und sagte leise „danke, Bärbel“!!!

Renate Schulz

Renate Schulz mit ihrem Idol vor dem Haus der heiteren Muse in Leipzig